Dienstag, 25. September 2012

Ich muss mich nicht mehr kämmen

Ich muss mich nicht mehr kämmen. Nicht nur, weil sich meine Haarpracht der eigentümlichen Bezeichnung "Altherrenkranz" mit Mäuseschritten nähert (es ist bis jetzt noch einfach eine längere Stirn, basta!) - ich lebe in Zukunft einfach die Setz´sche Bezeichnung von "Sozialkorrektur durch Mitmenschen". Clemens Setz, der Schriftsteller, kämmt sich auch nicht mehr, zieht lt. Interview dazu irgendwelche Sachen an und lässt die Mitmenschen um sich, nicht nur in sprachlicher Weise urteilen, wie man wohl aussähe; viel mehr erlaubt er direkte Eingriffe durch Haare-aus-dem-Gesicht-Streicher, Kragen-runter-Steller oder Ulkig-Aussehen-Lacher usw. (vielleicht auch Mitesser-Aufpiekser und Anschliessend-drauf-Rumdrücker, ganz weiß ich das nicht, wir haben noch nicht persönlich verkehrt und es gibt auch Grenzen der Offenbarung in öffentlichen Medien)
Meine Umwelt wird sich sicher besonders intensiv in mich hineininterpretieren und so einen Menschen nach ihren Vorstellungen schaffen. Gottgleich pappen Sie ihre Spucke an die Stellen über die Ohren, die von meinen Friseurinnen vergessen wurden, ich sehe mit Bodytraining meinen Tonus sklavisch formen und Vögele-Sakkos schwingend auf mich einprügeln. Was werde ich in Zukunft für absonderliche Blicke auf mich ziehen, abstruse Ausrutscher einer Schneiderei durch die Gegend spazierend, unter schiefen Blicken die Haupteinkaufsstrassen absolvieren, in dem Bewusstsein, äusserlich durch liebe Hände einzementiert zu sein.
Die Spitze der aktuellen und zukünftigen Grausamkeit wird der Einlauf auf die Zeltfeste in der weiten Umgebung sein, den ich unter sicher feistem Gejohle immer wieder Sonntags zu absolvieren habe, in Tierhaut und Karo-Tischtuch gewickelt, mit Filzhut, Bierglas und einer Wurscht bewaffnet. Es wird viele geben, die so wie ich, durch Geisterhand bestimmt, durch den Stroh- und Holzschnippselbedeckten Matsch waten, ständig grinsen, denn sie wissen wie ich: es ist gut und richtig. Abends noch im leichten Biernebel, die Welt verhangen, darf ich den Aufzug gegen Schlafgewand tauschen, dass bei mir aus dem Nichts besteht, welches bleibt, wenn keine sozialen Korrekturen mehr passieren.
Freudig blicke ich dem Zeitpunkt entgegen, wieder die modische Oberhand zu gewinnen, auf Einfluss von aussen manchmal zumindest  scharf und bissig zu reagieren, nicht frei von Würde die langweiligsten und lächerlichsten Stoffe auf den Jahrmarkt der Eitelkeiten bringen und auch noch zu grinsen, wenn meine dünnen Haare vorne herab in den Augen stupfen und die Sicht auf meine KorrekteurInnen teils verwehren. In Zukunft werde ich mich wahrscheinlich wirklich nicht mehr kämmen müssen. Mit sozialer Korrektur wird das aber wenig zu tun haben.

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